Wenn eine*r eine Reise tut, dann kann sie*er was erleben. Urlaub ist oft die ideale Zeit für digitales Detoxing – vorausgesetzt, man schafft es, den Blick vom Smartphone zu heben, während man neue Gegenden erkundet oder seine Nase in ein gutes Buch steckt.
Die Autorin verbindet im Urlaub immer beides: in jedem neuen Ort gilt deshalb der erste Besuch dem Buchladen um die Ecke. Als Marketer und Leseratte bietet sich hier die perfekte Möglichkeit, neue Städte und Geschäfte zu erkunden und deren Einwohner*innen zu „analysieren“. Im Sinne von: zeigt mir, was ihr lest, und ich sage euch, wer ihr seid. Buchläden sind oft mehr als Verkaufsstätten, sie sind ein Treffpunkt für Bücherliebhaber*innen, ein Ort zum Verweilen und Beobachten sowie ein Abbild der Geschichte und Kultur der Bewohner*innen. Lesen und Reisen bildet.
Während sich das Shoppingangebot – zum Beispiel im Modebereich – in vielen Städten über die Jahre angeglichen hat (an der rechten Straßenseite H&M, links davon Zara und um die Ecke Urban Outfitters), so haben sich Buchläden meist noch ihren eigenen Charakter bewahrt. Es sind dabei oft die kleinen und mittelgroßen Geschäfte, die eine Stadt prägen und weniger die großen Bücherketten.
Doch seit einigen Jahren steckt der stationäre Buchhandel in der Krise: es wird weniger gelesen, und Bücher werden vermehrt online gekauft. Die Zahlen sind alarmierend: in Österreich schließt jede*r Zweite (ab 16 Jahren) Lesen als Freizeitbeschäftigung kategorisch aus (Mehr erfahren). Immer mehr Buchgeschäfte waren in den letzten Jahren gezwungen zu schließen. Es ist deshalb für die Autorin im Urlaub nicht immer leicht, den Buchladen um die nächste Ecke zu finden. Doch eine Reise durch die USA zeigt, es tut sich wieder etwas am Büchermarkt.
Von 1995 (Launch Amazon) bis 2000 ging die Zahl der unabhängigen Buchläden in den USA um 43 Prozent zurück (Mehr erfahren), und dieser Trend setzte sich weiter fort. Mit COVID-19 kam ein weiterer Dämpfer für den stationären Buchhandel: noch mehr Käufe fanden online statt, und vor allem kleine Buchhändler waren vom Lock-down schwer betroffen und kämpften während der Pandemie um ihre Existenz (Mehr erfahren).
Buchhändler sind also dringend gefordert, ihr Geschäftsmodell zu überdenken, um langfristig am Markt bestehen zu können. Eine jahrhundertealte Industrie ist in Zeiten des technologischen Wandels gezwungen, sich neu zu erfinden, um überleben zu können. Doch wie kann es gelingen?
Ein Blick in die USA zeigt, es ist möglich. Dort konnten viele unabhängige Buchläden die Trendumkehr schaffen (Alter & Harris, 2022). Verantwortlich dafür war vor allem die lokale Verankerung in der Umgebung im Sinne von „buy local“: das Buchgeschäft in der Nachbarschaft und die Besitzer als Berater*in und vertrauenswürdige*r Ansprechpartner*in für die Leserschaft (Mehr erfahren). Gerade durch die Pandemie sind die Menschen (zumindest im Geiste) wieder näher aneinandergerückt. Es fand teilweise ein Umdenken statt, was wirklich wichtig ist im Leben, und so auch, welche Bedeutung lokale Geschäfte vor Ort für das Zusammenleben haben. Da Buchgeschäfte ihr Sortiment um Cafés oder Spielecken erweitert haben, waren sie auch eine wichtige Anlaufstelle und Treffpunkt für die lokale Nachbarschaft nach Monaten des Lock-down und Social Distancing.
Neben dem Buy local-Konzept ist es zudem der Fokus auf Kuration, der es möglich macht, dass sich unabhängige Buchläden stärken vom Online-Handel differenzieren und ein besonderes Nutzenversprechen liefern.
Der in der Kunst- und Museumswelt häufig verwendete Begriff „Kuration“ bezieht sich auf die Auswahl und Präsentation von Objekten oder Inhalten. Im Marketing bedeutet dies das Auswählen und Ordnen, aber auch das Vereinfachen, Reduzieren, Zeigen, Präsentieren und Erklären von Inhalten, um einen Mehrwert für die Kund*innen zu schaffen (Bhaskar, 2017).
Als Leser*innen stehen wir vor einer unglaublichen Auswahl an Angeboten und – gefühlt – immer weniger Zeit, um unsere Wahl treffen zu können. In den USA gelangen über 4 Mio. neue Bücher pro Jahr in den Handel (Mehr erfahren). Da Bücher (für die meisten) keine lebenswichtigen Güter sind, besteht das Risiko in Buchgeschäften, dass Kund*innen – überwältigt durch die Auswahl – das Geschäft wieder verlassen, ohne etwas zu kaufen (Steiner, 2017). Hier kann Kuration helfen.
Haben wir William Thacker (Hugh Grant) im Film „Notting Hill“ 1999 noch belächelt, da sein Buchgeschäft einzig auf Reiseliteratur spezialisiert war und sich dadurch auch kaum jemand in den Laden verirrte (außer Julia Roberts), so ist heute Kuration die Rettung für viele kleine Buchläden. Durch Spezialisierung auf bestimmte Kundengruppen oder Themengebiete können sich Buchläden als einzigartige Fachexperten positionieren. So haben in den USA Buchgeschäfte eröffnet, die ihr Angebot speziell auf bestimmte Ethnien / Herkünfte oder Geschlechter ausgerichtet haben.
Zudem steigt in Zeiten der digitalen Transformation auch wieder die Nachfrage nach „real recommendations from real people“ (Alter & Harris, 2022). Die Mitarbeiter*innen in den Geschäften sind deshalb wichtige Kuratoren. So findet man in den USA sehr häufig eigene Regale oder Büchertische, wo Mitarbeiter*innen des Ladens ihre Lieblingsbücher vorstellen und kommentieren, teilweise handschriftlich und mit dem Namen der Mitarbeiter*in versehen, um Nähe zu schaffen. In Zeiten der steigenden Nachfrage nach individuell und auf die Person zugeschnittenen Produktangeboten eine sehr vielversprechende Maßnahme.
Auch Book Clubs boomen. Was haben die US-Schauspielerin Reese Witherspoon und Jenna Bush Hager, Tochter von Georg W. Bush, gemeinsam? Beide sind Gründerinnen eines Buchclubs und agieren so als Kuratorinnen. Während sich Reese Witherspoons Club auf Werke von weiblichen Autoren spezialisiert, stellt Jenna Bush Hager ihre Buchempfehlungen in ihrer Today Show vor. Die Empfehlungen der Buchclubs, die in den Buchläden teilweise in eigenen Regalen oder durch Aufkleber ausgelobt werden, stellen für Kund*innen nicht nur eine Hilfestellung in der Auswahl eines Buchs dar, sie sind auch die Möglichkeit, Teil einer größeren sozialen Community zu werden. Bestseller-Listen und Buchclub-Empfehlungen machen sich den Herdentrieb zu Nutze: das Buch muss gut sein, es wird von vielen (Gleichgesinnten) gelesen (Steiner, 2017).
Als Reise-Enthusiastin, Leseratte und Marketer ist die Autorin überzeugt, dass Konzepte mit Fokus auf Kuration, Community und Individualisierung auch weiterhin erfolgreich sind. Die Maßnahmen der Buchgeschäfte liefern Ideen auch für andere traditionelle stationäre Unternehmen, die sich den Herausforderungen des digitalen Wandels gegenübersehen.
Alter, A., & Harris, E. A. (2022, Juli 10). Some Surprising Good News: Bookstores Are Booming and Becoming More Diverse. The New York Times. https://www.nytimes.com/2022/07/10/books/bookstores-diversity-pandemic.html
Bhaskar, M. (2017). Curation: The power of selection in a world of excess. Piatkus.
How Independent Bookstores Have Thrived in Spite of Amazon.com. (2017, November 20). HBS Working Knowledge. http://hbswk.hbs.edu/item/why-independent-bookstores-haved-thrived-in-spite-of-amazon-com
Lesemuffel oder Leseratten. Die Österreicher und das Lesen im digitalen Zeitalter (11/2016). IMAS International Report. http://www.imas.at/images/imas-report/2016/11_Lesemuffel_oder_Leseratten_im_digitalen_Zeitalter.pdf
Number of books published per year [2022] – WordsRated. (o. J.). Abgerufen 22. August 2022, von https://wordsrated.com/number-of-books-published-per-year-2021/
Steiner, A. (2017). Select, Display, and Sell. Logos, 28(4), 18–31. https://doi.org/10.1163/1878-4712-11112138
Überlebenskampf der Verlage: Die Ausbreitung des Coronavirus stürzt den Buchmarkt in eine tiefe Krise. (o. J.). Abgerufen 22. August 2022, von https://www.handelsblatt.com/arts_und_style/literatur/ueberlebenskampf-der-verlage-die-ausbreitung-des-coronavirus-stuerzt-den-buchmarkt-in-eine-tiefe-krise-/25676016.html
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